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Wer als Krypto-Anleger Deutschland verlässt, um der heimischen Steuerpflicht zu entgehen, könnte eine böse Überraschung erleben. Die deutschen Finanzbehörden haben erstmals klargestellt, dass auch nach einem Wegzug ins Ausland unter bestimmten Umständen weiterhin Steuerpflicht für Kryptoeinkünfte bestehen kann. Eine Entscheidung des Finanzamts Stuttgart könnte weitreichende Folgen für die gesamte Krypto-Community haben.
Finanzamt Stuttgart wendet erweiterte Steuerpflicht auf Krypto-Einkünfte an
Das Finanzamt Stuttgart hat in Abstimmung mit der Oberfinanzdirektion Karlsruhe bestätigt, dass die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 2 AStG auch auf einen ins Ausland verzogenen Kryptoanleger angewendet wird.
Wie Steuerexperten warnen: „Sollte sich die Auffassung der Finanzverwaltung in diesem Einzelfall allgemein durchsetzen, wären Anleger noch bis zu 10 Jahre nach Wegzug in Deutschland steuerpflichtig.“
Betroffen sind die häufigsten Anwendungsfälle für Kryptoanleger: Trading, Staking und Lending. Die Entscheidung ist besonders relevant für vermögende Kryptoanleger, die nicht selten ins Ausland verziehen und jedes Jahr Einkünfte in Millionenhöhe aus ihren Kryptoinvestments erzielen.
Das Schreiben ist allerdings zunächst nur eine erste Reaktion auf einen Antrag auf verbindliche Auskunft und möglicherweise noch keine finale Stellungnahme. Dennoch handelt es sich um die erste behördliche Stellungnahme zur Anwendung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht auf Kryptoeinkünfte.
Unterschiedliche Behandlung von Trading und Staking
Die Finanzverwaltung differenziert bei ihrer Bewertung zwischen verschiedenen Krypto-Aktivitäten. Bei Gewinnen aus kurzfristigem Handel mit Kryptowährungen nach § 23 EStG argumentiert das Finanzamt:
„Gewinne aus kurzfristigem Handel mit Kryptowährungen gelten nicht als ausländische Einkünfte, da Kryptowerte keinem bestimmten Staat zugeordnet werden können. Sie unterliegen daher der erweiterten beschränkten Steuerpflicht.“
Anders verhält es sich bei Staking und Lending nach § 22 Nr. 3 EStG. Hier stellt die Behörde fest:
„Ob diese Einkünfte als ausländisch gelten, hängt vom Sitz der Plattformen ab.“
Relevant wird dies für Plattformen wie Coinbase, Blockchain.com, Bitstamp, Binance oder Nexo.
Rechtliche Kritik an der Finanzamts-Auffassung
Steuerrechtliche Experten sehen die Position des Finanzamts kritisch. Sie halten die Auffassung der Behörde für nicht überzeugend und bezweifeln, dass die Voraussetzungen für eine erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 2 AStG vorliegen.
Ein zentraler Kritikpunkt betrifft das sogenannte Belegenheitsproblem.
„Kryptowerte sind digitale, immaterielle Wirtschaftsgüter ohne physische Existenz. Der Begriff der ‚Belegenheit‘ im Gesetz setzt unseres Erachtens eine physische Verortung voraus“, erklären die Rechtsexperten von WINHELLER.
Sie argumentieren weiter: „Maßgeblich sollte u. E. bei Kryptowährungen daher der Ort der Verfügungsmacht sein und ein ‚menschlicher‘ Anknüpfungspunkt gesucht werden – also z. B. der Wohnsitz bzw. die steuerliche Ansässigkeit des Steuerpflichtigen.“
Zusätzlich fehle häufig der erforderliche Inlandsbezug. Der typischerweise sehr vermögende Kryptoinvestor verabschiede sich vollständig von Deutschland und unterhalte hier keinen Wohnsitz mehr, keine gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen und keine Immobilien, so die Experten.
Verfassungsrechtliche Bedenken und praktische Probleme
Besonders schwerwiegend sind die verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Finanzamts-Position. Die Kritiker sehen systematische Probleme in der praktischen Umsetzung: Die Finanzämter sind in der Praxis nicht in der Lage, mögliche Steuerzahlungen auch durchzusetzen.
Dies führt zu einem paradoxen Ergebnis: Nur ehrliche und gut informierte Anleger, die sich von sich aus an das deutsche Finanzamt wenden, würden weitere zehn Jahre lang Steuern in Deutschland bezahlen. Experten sehen darin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes, was die Regelung unwirksam machen könnte.
Kryptoanleger, die nach dem Wegzug ins Ausland Einkünfte aus Kryptoinvestments erzielen, sollten sich daher intensiv mit den steuerlichen Konsequenzen befassen und die weiteren Entwicklungen genau verfolgen. Die Entscheidung könnte Präzedenzwirkung für zukünftige Fälle haben, falls sich die Auffassung der Finanzverwaltung durchsetzt.
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